Schreiben

Schreiben

Donnerstag, 15. September 2016

Schreibtisch-Tipp 1

Angenommen, Sie lesen ein Buch, in dem es vor Wiederholungen wimmelt, haben Sie dann nicht den Eindruck, vom Schriftsteller für blöd gehalten zu werden?
Ich schon. Wenn die Wiederholungen nicht als Stilmittel eingesetzt werden, fühle ich mich auf den Arm genommen, denn ich leide ja nicht an Vergesslichkeit und weiß noch, was bisher in der Geschichte vorkam. 

Es gibt ein paar Möglichkeiten, warum derlei passiert.
1. Autoren sind sich nicht sicher, ob die Leser bereits verstanden haben, worum es geht (manchmal sind sie sich selbst nicht sicher und wiederholen aus dem Grund).
2. Autoren vergessen schlichtweg, dass sie das Wiederholte bereits 3 Seiten vorher genauest beschrieben haben.
3. Autoren sitzen frustriert vor dem fertigen Manuskript, denn die geplanten 300 Seiten sind nur 150 geworden. Also überarbeiten sie und erweitern, indem sie alles noch viel genauer und öfter beschreiben, damit das Ding länger wird (das ist eine Unterstellung, ich weiß). 

Möglichkeit 3 kommt so nicht vor. Dafür Nummer 1 umso öfter. Wem das passiert, der muss streichen und am Ende hat das 300 Seiten-Manuskript wirklich nur noch 150.

Was tun?
1. Streichen! Rigoros. 
Nicht nur die Wiederholungen im Erzähltext, auch jene, die um Dialoge herum entstehen. Der Redner muss nicht vor dem Satz, den er seinem Gegenüber an den Kopf wirft, denken: 
Jetzt werfe ich ihm einen Satz an dem Kopf: "Du bist ein eiskalter Mensch." 
Denn es ist ja klar, dass diese Aussage dem anderen um die Ohren fliegt, nicht wahr? In der Schreibrage passiert so etwas natürlich, in der Überarbeitung muss es jedoch weg, weg, weg.

2. Nun ist der Text dem Autor zu kurz. Wie ihn erweitern?
In dem Text wird es mehr als eine Person geben. Die Hauptfigur wird den Roman kaum im Alleingang bestreiten (seltene Ausnahme ist z.B. Thomas Glavinic, Die Arbeit der Nacht im Verlag dtv). 
Also betrachten wir doch die Figuren um sie/ihn. Ist da einer dabei, der ein anders gelagertes Problem als unser Held/unsere Heldin hat? Könnten wir daraus einen Suberzählstrang bauen? Könnten diese beiden Probleme letzten Endes doch eine Verbindung aufweisen?
Finden Sie es heraus und schon hat der erschlankte Text 200 Seiten dazugewonnen. 
Ideal für den 2. Erzählstrang ist, dass sein Problem sich kurz vor dem Ende des Haupterzählstrangs löst. Denn die Hauptfigur ist nun mal die Hauptfigur und darf zuletzt vor den Vorhang, darf das Finale bestreiten, um den verdienten Applaus einzuheimsen.

Merke: Schreiben ist leicht. Man muss nur die falschen Wörter weglassen.“ Mark Twain

Bis zum nächsten Mal!
 

3 Kommentare:

Elsa Rieger hat gesagt…

Liebe Astrid,

nun, das ist dann etwas anderes.
Wenn du aus verschiedenen POVs (Point of View = Perspektiven) eine Begebenheit erzählst, wird das ja dem jeweiligen Charakter entsprechend mit anderen Worten stattfinden. Das ist vollkommen okay, so es Sinn hat, genau diese Szene von mehreren Figuren zu erzählen. Denke an den Film Rashomon, da ist das wunderbar gemacht.

LIebe Grüße
Elsa

Anonym hat gesagt…

Sehr eindeutig und einleuchtend ... Ich lese gerade "Befreiung" von Ernst Brauer. Dieser Autor übertreibt Wiederholungen absichtlich, es ist sein Stil - aber mir gefällt das nicht.

Elsa Rieger hat gesagt…

Liebe Petra, danke!
Es ist natürlich Geschmackssache, ich finde, derlei Stilfiguren sollen äußerst sparsam eingesetzt werden.

Liebe Grüße
Elsa