Schreiben

Schreiben

Sonntag, 1. November 2015

Was bringt ein Lektorat?


Liebe Autorin, lieber Autor,

Zunächst bin ich als Lektorin, die selbst schreibt und das Wort an sich liebt, sehr gespannt, wenn eine Autorin, ein Autor mit einem Text auf mich zukommt. Es ist kein Märchen, dass die Chemie zwischen Menschen stimmen muss, um überhaupt miteinander kommunizieren zu können. Das gilt auch für den Text. Ich kann nicht jeden Text „ausgehfein“ machen, gebe ich hiermit zu. In den Anfängen des Lektorierens wollte ich das aber um jeden Preis (Honorare für die Arbeit sind ja auch nicht zu verneinen, nicht wahr?). Mittlerweile nach den Jahren sehe ich das jedoch anders. Wenn mich ein Text nicht ergreift, interessiert oder schlichtweg talentfrei geschrieben ist, springe ich nicht mehr über meinen Schatten, sondern lehne das Projekt mit Bedauern ab. Ich finde nicht, dass jeder Mensch die Begabung zum Schreiben hat. Vielleicht ist derjenige/diejenige besser bei der bildenden Kunst aufgehoben oder beim Komponieren schöner Melodien?
Apropos Melodie: Um die Sprachmelodie geht es mir in erster Linie, weniger darum, ob die Geschichte meinen Lesegeschmack trifft, sofern sie nachvollziehbar erzählt wird.
Plotlöcher, Zeitsprünge, Logikfehler lassen sich aufspüren und bereinigen. Doch der Erzählstil der jeweiligen Autoren ist es, der eine Geschichte, ein Gedicht oder den Roman einzigartig macht. Er muss bewahrt werden, darf vom Lektorat nicht kaputtgemacht werden. Die Erzählform ist zu schützen, sie ist die Sprache des Autors, der Autorin. Ich als Lektorin muss die Erzählsprache des Betreffenden zur Höchstform auflaufen lassen können, sie nicht verstümmeln. Und das ist mein Entscheidungskriterium, ob ich einen Auftrag annehme oder ablehne. Die Chemie des geschriebenen Wortes. Sie muss zu meinem Verständnis von Sprache passen. Sonst wird das nichts.


Ein neues Projekt

Nun, wie gehe ich vor, wenn mich ein neues Projekt erreicht? Ich für meinen Teil arbeite mich auf dem Weg durch den Text sofort in Details ein. Stelle Fragen in Sprechblasen, die sich später im Text oft auflösen, dann streiche ich die Kommentare weiter oben wieder. Manche jedoch werden nicht im Text beantwortet, ein Zeichen, dass an diesen Stellen gearbeitet werden muss. Grammatikfehler und dergleichen bessere ich sofort nach, sichtbar, um das nachzuvollziehen.

Es ist meistens ziemlich aufregend für Autoren, in Kontakt zu Lektoren zu treten. Da stürmen viele Gefühle auf einen ein: Fällt mein Text durch? Ist er lesbar, nachvollziehbar, spannend? Was alles muss geändert werden? Dieser Aufregung kann ein Lektor mit Empathie gegenübertreten. Immerhin hat ein Autor viel Herzblut in seinen Text gelegt, den Mut gehabt, etwas niederzuschreiben. Ob der/die Schreibende nun achtsam und respektvoll mit dem Wort umgegangen ist, hat der Lektor schnell herausgefunden.
Eine flüchtige, ja, schlampige Erstfassung spricht Bände: Da ist einer, der nur schnell ein Buch hinfetzen wollte, um es an den Mann zu bringen. Dazu sei gesagt, dass diese Art Schreiber auch keine Lust haben, ihren Text lektorieren zu lassen und wenn doch, ja, dann zeigt das ganz schöne Überheblichkeit nach dem Motto: Friss Vogel oder stirb.
Eine sichtlich bemüht geschriebene Geschichte zeigt ein anderes Bild, auch wenn darin Fehler zu finden sind. Sichtlich bemüht zu schreiben zeigt auch nicht unbedingt von Talent für das Metier, derjenige müsste wahrscheinlich noch viel üben, um Eleganz und Klarheit in seine Texte zu bringen. Aber ein Lektorat hilft durchaus dabei zu lernen, die hölzerne Ausdrucksweise loszuwerden.
Und dann gibt es noch die Autoren, die wunderbarer Weise eine Riesenportion Begabung zum Schreiben mitbringen. Eine große Freude für jeden Lektor, die eine Zusammenarbeit sehr konstruktiv macht. Das sind die Geschichten, die wie ungeschliffene Edelsteine funkeln. Sie zu schleifen bringt die schönsten Ergebnisse. Aus dem Lektorat entlassen, trägt der Text am Ende eine Abendrobe.


Die Basics

Worüber Lektor und Autor zuerst miteinander sprechen müssen:

1. Figuren: In der Belletristik ist der Aufbau der Charaktere wichtig. Nur „starke“ Figuren – egal ob positive oder negative – schaffen es, die Leser zu packen. Autoren sollten, sobald sie die Idee zu einer Geschichte haben, zuerst die Figuren entwickeln, die gebraucht werden, um diese zu erzählen. Ohne passende Akteure kann der Plot noch so genial sein, er wird im Sand verlaufen, denn die Figuren sind es, die eine Geschichte bestimmen und vorantreiben.

2. Plot: Ein Plot ist die Geschichte, die erzählt werden will. Man denkt sich, oft inspiriert durch Ereignisse im realen Leben, eine Geschichte aus. Dabei sollte man sich fragen, warum unbedingt diese Geschichte erzählt und was damit ausgesagt werden soll. Am Anfang steht also die Prämisse, das ist der eine Satz, der zeigt, dass der Autor nicht einfach palavern will, sondern etwas beweisen möchte. Wir schreiben ja nicht, um zu schreiben (meistens), wir schreiben, weil wir uns äußern wollen. 
Eine Prämisse könnte lauten: Unrecht führt zum Untergang. Oder: Liebe und Vertrauen heilt schmerzhafte Erfahrungen. Oder: Ein vorgezeichneter Lebensweg wird unter allen Umständen erfüllt.
Die Geschichte dient nun dazu, diese Prämisse zu erfüllen.

3. Erzählstil: Wie nun wird die Geschichte erzählt? Auch darüber sollte sich der Autor im Vorfeld Gedanken machen. Durch welche Augen? In welcher Zeitform? Linear oder mit Rückblenden?
Bei einem Roman bitte ich dann um ein Exposee oder ein Gespräch, um die komprimierte Struktur der Geschichte vorliegen zu haben, den roten Faden erkennen zu können. An der Erfüllung der Prämisse, des roten Fadens und der Persönlichkeit der handelnden Figuren wird nun gemeinsam gearbeitet. Viele Mails werden gewechselt, Telefonate geführt, Strittiges geklärt und solange bearbeitet, bis Autor und Lektor mit dem Ergebnis zufrieden sind, am besten aber vollends begeistert!


Ratgeber und Sachbücher

Bei Ratgebern und Sachbüchern läuft es anders, da geht es vor allem darum, schwammige Formulierungen zu bereinigen und klare Ansagen zu machen. Der Sachbuchautor ist so verwachsen mit seinem Thema, dass er oft nicht merkt, dass ein Laie überhaupt nichts mit seinen Erklärungen anfangen kann. Meine Aufgabe ist dann, genau diese Laienfragen zu stellen, um deutliche Erklärungen zu bekommen, die dann ein Sachbuch, einen Ratgeber wirklich hilfreich machen.

In diesem Sinne,
eure Elsa Rieger

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